Als Stilberaterin werde ich oft gefragt, was für mich guten oder schlechten Stil ausmacht. Das ist weder in einem Satz noch für jeden Menschen und jede Lebenslage passend beantwortbar. Dasselbe gilt für das Gegenteil: schlechten Stil.
Ein konkretes Beispiel
Im April waren mein Mann und ich in einem Konzert. Es war bestuhlt, es galten wegen 3G und Maskenpflicht keine Abstandregeln bei den Sitzplätzen. Wir hatten Glück, dass es recht spärlich besucht war, so dass wir einen Seitenflügel fast für uns hatten.
Nach Beginn des Konzertes schneite eine Frau hektisch hinein und setzte sich mit ihrem Begleiter ein paar Reihen vor uns hin. Im ersten Moment dachte ich: attraktive Erscheinung, kraftvolle Ausstrahlung. Dann hatte ich im Lauf des Konzerts Gelegenheit, das Ganze genauer zu betrachten.
Der erste optische Eindruck bröckelte schneller als zu trockener Sandkuchen dahin. Anhand dieses konkreten Beispiels verrate ich Dir, was für mich für guten und schlechten Stil ausmachen kann.
Was steht für mich für schlechten Stil?
- Unpünktlichkeit. Man stört andere Menschen mit dem Zuspätkommen bei einem Konzertbesuch mit Sitzplätzen. Unpünktlich kann man mal sein – im Dunkeln hätten wir das Kulturzentrum vielleicht sogar auch zu spät gefunden. Aber sich dann hinzusetzen und minutenlang eine Lage nach der anderen raumgreifend auszuziehen und laut in der riesigen Tasche zu kramen, finde ich extrem unhöflich.
- Der optische Eindruck verdarb mit jeder entfernten Kleidungsschicht weiter. Am Ende kamen nackte Oberarme in einem latent zu engen Top zum Vorschein, die ich so lieber nicht gesehen hätte. Die Frau trug vermutlich Größe 44, hatte sich aber in 40 oder 42 gezwängt. In einem passenden Top hätten die weichen Arme weniger gequetscht und damit für mein Auge angenehmer ausgesehen. Es geht mir hier nicht um Größe 44 und das Zeigen nackter Arme. Es geht mir um den Rahmen dafür. Das Top – nicht das Konzert. Der Rest der Kleidung sah durchaus schick aus. Insgesamt hat das zu enge Top aber den Look ruiniert.
- Die riesige Logoprinttasche stellte sich auf den zweiten Blick meiner Ansicht nach als Fake heraus. Fakes von Designertaschen finde ich einfach nur peinlich. Von der Straftat der Produktpiraterie abgesehen, sehen Fakes im Detail oft billig gemacht aus. Und billig wirkende Accessoires sind nie stilvoll. Wenn es sich dann noch um eine Logoprinttasche handelt, finde ich es noch schlimmer, als wenn nur Formen oder andere Elemente nachgeahmt werden. Dazu kam noch, dass die Tasche größentechnisch mit der Frau spazieren ging und nicht die Frau mit der Tasche.
- Die blondierte lange Mähne hatte schon länger keine frische Farbe mehr gesehen. Deutlich sichtbare Ansätze sehen ungepflegt aus. Zum Thema ungepflegt wurde es noch durch offensichtlich nicht gewaschene Haare getoppt. Beim Reinkommen fielen sie noch locker. Im Sitzen sah man dann von oben die fettigen Ansätze.
- Das rücksichtslose Zuspätkommen wurde abgerundet durch ein langes Absetzen der Maske zum Weingenuss – durchgehend bis das Glas Schluck für Schluck geleert war. Dass ihr Begleiter sich an der Bar bei mir vorgedrängelt hat, passt ins Gesamtbild.
Wie hätte das in gutem Stil aussehen können?
- Wenn man aus gutem Grund unpünktlich ist, das kann jedem mal passieren, ist es rücksichtsvoll, sich leise und unauffällig zu verhalten beim Einnehmen der Plätze.
- Kleidung in passender Größe wirkt schöner als zu enge. Zu weite Kleidung sieht vielleicht auch nicht gut aus, aber das fällt weniger auf als zu enge. Das eine wirkt leger, das andere eingequetscht.
- Handtaschen in Größe und Form zur eigenen Statur passend zu wählen. Hier wäre das mittelgroß anstatt riesig gewesen. In eine mittelgroße Tasche passt mit ein wenig Mühe bei Bedarf auch der halbe Hausstand.
- Keine Fakes! Kaufe bitte Originale oder nichts. Wenn Du Dir Originale neu nicht leisten kannst oder willst, denke über 2. Hand nach.
- Wenn Du Deine Haare färbst, habe einen Blick auf den Ansatz. Wenn regelmäßige Friseurbesuche zeitlich oder finanziell nicht drin sind und Du nicht selbst färben möchtest, bleibe lieber bei Deiner Naturhaarfarbe.
- Nimm Rücksicht auf die Gesundheit und das Wohlbefinden anderer Menschen und schau, wann Du an der Reihe bist.
22 Antworten auf „Woran erkenne ich guten oder schlechten Stil?“
Liebe Ines,
ich stimme Dir in allem zu. So einfach oder so schwer ist guter Stil. Ich treffe „in der Menge“ immer mal wieder Menschen, die man einfach gern anschaut, anschauen muss. Sie sind irgendwie bei sich, nicht besonders auffallend oder dominant gekleidet. Die Details stimmen und sie passen zu ihnen. So wie bei Dir.
Liebe Grüße Greta
Stilvolle Menschen spielen sich nicht in den Vordergrund – so sehe ich das auch. Man kann gerne in der 1. Reihe stehen, aber dabei nicht den Blick auf die 2. Reihe verstellen.
Danke für Dein Kompliment, das mir das Frühstück versüßt hat!
Guten Morgen Ines, so habe ich das noch gar nicht betrachtet. Aber Du hast völlig recht, nicht nur die Kleidung, sondern auch das Auftreten hat Einfluss auf den Stil. Darauf werde ich in meinem Umfeld künftig mehr achten. Ungepflegte Schuhe ruinieren ebenfalls den Stil, finde ich.
LG und ein schönes Wochenende, Caro
Wie sehr ich Auftreten und Kleidung bei dem Gedanken an Stil verbinde, war mir selbst bis zum Schreiben des Beitrags auch nicht bewusst. Auf Schuhe achte ich auch sehr.
Ein schönes Wochenende wünsche ich Dir ebenso!
Ich seh die Szene quasi vor meinem geistigen Auge… und kann nur mit den Worten vom Kinde sagen: I feel you.
Ehrlich gesagt habe ich mir über schlechten Stil noch nie Gedanken gemacht. Aber alles, was ungepflegt ist, gehört definitiv dazu: Von den Haaren bis zu den Schuhen.
Die Unterscheidung zwischen schlechtem Benehmen und schlechtem Stil ist in meinen Augen seeeehr fließend. Wer keinen Anstand hat, bei dem reißt auch das teuerste Outfit samt „echten“ Accessoires nichts mehr raus. Finde ich. Aber das sehen andere bestimmt anders.
Liebe Grüße
Fran
Danke!
So ist es – auch immer wieder im Trash-TV bei Neureichen zu sehen – Geld hilft beim Stil nämlich auch nicht …
Für mich ist guter Stil auch ein Gesamtkonzept. Das Auftreten und das Aussehen gehören da für mich zusammen, so wie Du es beschrieben hast.
Wirklich stilvolle Menschen sind so angenehm. Sie machen – sich und uns – das Leben schön. Selbst und gerade bei Unpünktlichkeit… 🙂
Herzlich, Sieglinde
Gesamtkonzept – genau das trifft es auf den Punkt.
Es wäre schön, wenn es mehr Menschen davon gäbe. Dann wäre unser aller Leben noch schöner. Wobei wir es insgesamt ja schon sehr schön haben!
Auch hier stand ein Konzertbesuch an. In die Philharmonie gehen immer noch überwiegend Menschen 60+. Bis auf sehr elegante Ausnahmen sind die meisten altmodisch gekleidet, sie Tagen oft ihr guten Sachen von vor ca. 20 Jahren. Das finde ich nicht schlimm, denn guter Stil bedeuted für mich Aufmerksamkeit auf Kleidung und Verhalten zu legen. Und das tun die Damen und Herren auf alle Fälle. Generell sehe ich die meisten Menschen in Arbeitskleidung im Konzert. Ich mag das nicht so sehr, kann aber einige Gedanken dahinter verstehen. Es lohnt sich in einer Großstadt oft nicht, vor dem Event nach Hause zu gehen. Ich trug ganz bewußt ein Kleid für seltene Anlässe, fühlte mich aber nicht overdressed, sondern wohl.
Insgesamt bin ich nicht so streng wie du, ich könnte mich eher amüsieren, zb über 2 junge Mädchen, die eine Art längeres Hemdchen anhatte, das eher ins Rockkonzert oder in den Park gepasst hätte 😁. Es war der erste heiße Tag im Jahr, das muß man dann wohl tolerieren 😃
Stil ist für mich nicht nach der neuesten Mode gekleidet zu sein, aber ich sehe es gern, wenn Menschen sich überlegen, was sie ich anziehen und sich nicht einfach nur kleiden, um den Körper zu bedecken.
LG
Wenn die guten Sachen aufgetragen werden, gehen die Nachhaltigkeitsmathematik und die Modemathematik auf. Perfekt! Finde ich auch nicht schlimm, gerade bei älteren Menschen. Meine Schwiegermutter trägt seit ich sie kenne, dieselben Twinsets für ordentliche Anlässe.
Arbeitskleidung im Konzert – ich weiß, was Du meinst. Darunter würdest Du mich wohl heute in einem klassischen Konzerthaus auch einordnen. Ich verstehe, was Du meinst. Immerhin sehen die Menschen dann meist ordentlich aus und haben keine Jeans an – aber das Besondere fehlt. Wir sind viele Jahre regelmäßig in die Staatsoper gegangen. Der ehem. Schwiegervater meines Mannes war dort als Sänger im festen Ensemble und hat uns netterweise Steuerkarten besorgt, wenn er aufgetreten ist. Damals hatte ich deutlich mehr Auswahl an Anlasskleidern, weil es eben genau diese Anlässe gab. Irgendwie sind die aus meinem Leben verschwunden und ich habe gerade keine Lust, für sie zu sorgen.
Das ist eine ziemlich interessante Frage, die du da aufwirfst und die ich wie du auch in diesen zwei Aspekten beantworten würde.
Warum?
Gute Kleidung macht noch keinen guten Stil (weder optisch noch im Benehmen- manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall)
Und schlechte Kleidung bedeutet keinen schlechten Stil. Will sagen, dass das eine das andere weder inkludiert noch exkludiert.
Gerade gestern habe ich das erlebt: Zwei sehr junge Eltern mit (in meinen Augen) nicht schönem Kleidungs- und Frisurenstil (wobei das ja auch immer subjektiv ist) saßen mit ihrem Kind in der Bahn. Das Kind trampelt mit den Füßen und trifft eine Passagierin: Der junge Mann sofort: Du sagst jetzt Entschuldigung und dass es dir leid tut! Das Kind geht- sofort. Ich gebe zu, die Verblüffung war auf meiner Seite. Das habe ich neulich völlig anders erlebt: Eltern und Kind bestens und teuer gekleidet, das Kind schreit unmotiviert rum: Ja, ja du musst dich ein bisschen austoben, kein Problem. Äh, nein???
Ich sehe es bei der Kleidung wie du: Sie sollte passen, zumindest meist. Und sie sollte zum Träger passen. Was ich daran merke, ob Menschen mit ihrer Kleidung gehen oder die mit ihnen. Man sieht das einfach. Dabei geht es nicht um die neueste oder teuerste Mode, da sind wir uns ja einig.
Stil bedeutet aber auch, einer Situation angemessen (doofes Wort) gekleidet zu sein.
Wenn ich zu etwas gehe, was besonders ist, dann ziehe ich mich auch so an. Ich gehe nicht in Jeans in mein liebstes Konzerthaus (das bei euch beheimatet ist) selbst hier ziehe ich mich zu einem Konzert anders an als tagsüber. Für mich und weil ich darin auch meine Wertschätzung zeige. Das darf jeder anders sehen und halten, aber ich finde das einfach schöner.
Produktfakes: Puh… heißes Thema. Kommen für mich nicht in Frage, zumal man bei den meisten auch sieht, dass sie es sind.
Haare: Oh ja. Da habe ich den Kindern wohl auch was mitgegeben. Ich lege Wert auf Pflege und ich lege erst Recht Wert auf gepflegte (saubere) Haare. Unsere Kinder hatten das schon sehr früh verinnerlicht und bemerkten so etwas immer sofort. Bis heute. Auch bei den Lehrern, ähäm.
Guter Stil hat für mich viel mit Wertschätzung zu tun- sich selbst, aber eben auch anderen gegenüber.
Und da ist das, was du im Konzert erlebt hast, ist in keinster Weise guter Stil. Und du erläuterst es sehr schön…
Und @ Susanne: Wenn jemand nicht gerade im Abendkleid auftaucht, mag ich es viel lieber overdressed zu sehen oder sein als underdressed.
Danke für diesen tollen Beitrag, der wertschätzend erklärt und beschreibt. Fühlte mich voll mitgenommen und aufgehoben..
Schönes Wochenende und stilvolle Grüße
Nicole
Deine beiden Beispiele finde ich treffend: Kleidung sagt nicht immer etwas über die innere Haltung aus. Beim ersten Beispiel habe ich an Hunde von Obdachlosen oder Punkern gedacht. Es gibt (über einen Kamm geschoren) keine besser erzogeneren Hunde als deren. Die können sich auch einfach nicht leisten, sich damit Ärger einzuhandeln. Aber ich denke auch, dass es viel über deren Beziehung zu ihren Begleithunden aussagt.
Danke für Deine lieben Worte über diesen Beitrag!
Wünsche stilvollen Fußballgenuss heute!
Guten Morgen Ines, I feel you too. 😁 Ich bin mit Dir und allen bisherigen Kommentatorinnen. Das Benehmen ist mir sogar noch wichtiger als die Handtasche. Huch hab ich das gesagt? Und sehr, sehr wichtig ist mir immer die Körperhygiene. Zähneputzen, also schlechter Atem und Körpergeruch ist für mich ganz schlimm. Gerüche tragen extrem zu meinem Wohlbefinden bei, also gute Gerüche. 😊
Ich wünsche Dir ein wunderschönes Wochenende, liebe Grüße Tina
Ich möchte nicht wissen, was Dir in Deinem Beruf an mangelnder Körperhygiene alles über den Weg läuft … Da ich den Menschen ja aber auch recht nah komme, weiß ich genau, was Du meinst. Zähne, Haut, Haare – das läuft für mich alles unter der Überschrift gepflegt. Von innen. Und von außen geht es von oben bis hinunter zu sauberen Schuhen …
Eine geruchlich wohltuendes Wochenende wünsche ich Dir!
Benehmen und Kleidung sind für beim Stil verbunden. Wie sehr, wurde mir beim Schreiben des Beitrags bewusst. Es geht darum, für andere Menschen angenehm zu sein. Dazu kann der Körpergeruch ebenso wie die (anlass- und typgerechte) Kleidung und das Auftreten gehören. Auf Anstand und Würde können wir uns sofort einigen!
“Wer keinen Anstand hat, bei dem reißt auch das teuerste Outfit samt “echten” Accessoires nichts mehr raus.”
Das sehe ich ganz genau so. Und ich sehe auch die Szene vor mir.
Typisch, dass dann an der Bar auch noch vorgedrängelt wird. Es passt zum Gesamtbild.
Liebe Grüße
Sabine
Die wirklich wertvollen Dinge im Leben kann man nicht kaufen. Gesundheit, Glück und eine gute Kinderstube. Aber man kann durchaus in ärmlichen, ungünstigen Verhältnissen aufwachsen und sich benehmen können.
Guter Stil hat für mich mit Feingefühl in vielerlei Hinsicht zu tun ist mMn das Gegenteil von einem Trampel.
„Man kann gerne in der 1. Reihe stehen, aber dabei nicht den Blick auf die 2. Reihe verstellen.“ Ich teile diese Auffassung. Das ist schwer bei meiner Größe. Deshalb warte ich meist vorsichtig ab, bis alle stehen. Und dann suche ich mir den Platz, der mir am besten taugt. Sicht, gerne von hinten/oben. Angenehme „Nachbarn“. Gerne alles im Blick.
Die erste Reihe für mich nur dann, wenn ich genau da dann auch richtig stehe und meinen „Job“ machen kann.
BG Sunny
Sehr sympathisch, wie Du mit Deiner Länge umgehst!
Das trifft es. Als Trampel wird niemand geboren, dazu wird man im Lauf des Lebens, wenn man eins ist.
Ich stimme mit allem auf deiner Liste vollkommen überein!
Persönlicher Stil ist die Art und Weise, wie man anderen mitteilt, dass man einzigartig ist, was man zu einer einzigartigen Person macht. Persönlicher Stil ist unser Markenzeichen, er spiegelt wider, wer wir sind und wie sehr wir uns um uns selbst kümmern. … Aus diesem Grund ist der persönliche Stil mehr als eine Art, sich gut zu kleiden: Es ist eine Art zu sein, zu lernen und zu leben – eine Stimmigkeit im Gesamterscheinungsbild einer Person.
Liebe Grüße,
Claudia
Oh ja, die Einzigartigkeit spielt dabei eine wesentliche Rolle, damit stimme ich Dir vollständig zu. Nicht umsonst lautete mein Slogan viele Jahre „Entdecken Sie Ihre Einzigartigkeit„.
Liebe Ines, gerade lese ich im ICE aus Berlin kommend Deinen Beitrag und die Kommentare! Auch hier im Zug können wir hautnah schlechten Stil erleben. Unappetitliches Essen von Reiseproviant, müffelnde Kleidung, Handynutzung im Ruhebereich…und ja, alles in der 1. Klasse. Besonders beim Reisen mit öffentlichen Transportmitteln erkennt man guten und schlechten Stil. Aber zugleich kann man regionale Unterschiede gut ausmachen, bei Benimm und Kleidung.
Liebe Grüße Susa
Die regionalen Unterschiede … Ich habe eine Vorstellung, was Du meinst … und Essen im ÖPNV ist eh ein Thema für sich …