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Lesetipp – Cosima & Elisa

Werbung – Rezensionsexemplar

Die Erbin von Claire Winter

Die Erbin
Diana Winter

Originalausgabe, Hardcover mit Schutzumschlag, 592 Seiten
ISBN 978-3-453-29258-1
Erschienen am 16. April 2025 im Heyne Verlag (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite. Ich habe es als E-Book gelesen.

„Köln, 50er Jahre: Cosima ist Erbin der einflussreichen Industriellenfamilie Liefenstein. Doch mit der Gründung einer Stiftung für bedürftige Frauen und Mütter geht sie ihren eigenen Weg. Da tritt der Journalist Leo Marktgraf in ihr Leben, der Nachforschungen über den Tod eines Freundes anstellt. Die Leiche des Anwalts wurde am Ufer des Rheins gefunden, nur kurz nachdem er öffentlich schwere Anschuldigungen gegen die Liefensteins erhoben hatte. Cosima will Licht in die dunkle Vergangenheit ihrer Familie bringen und muss schon bald erkennen, dass nichts so ist wie es scheint. Aber in der jungen Bundesrepublik, in der niemand mehr an die Zeit des Dritten Reiches erinnert werden will, gibt es ein Netzwerk von Menschen, die noch immer mächtig sind. Sie sind bereit, alles dafür zu tun, dass Cosima und Leo der Wahrheit nicht auf die Spur kommen …“

Verlagstext – Anna Winter, Die Erbin, Heyne Verlag 2025

Von der ersten bis zur letzten Seite mochte ich das Buch, das in zwei Zeitebenen spielt, kaum aus der Hand legen. Die Geschichte beginnt 1957 in Köln mit Cosima als Hauptfigur und springt dann nach Berlin 1929 mit Elisa im Zentrum.

Elisa wird 1929 als junges Hausmädchen bei Familie Liefenstein angestellt, ihre Eltern leben schon lange nicht mehr, aufgewachsen ist sie bei ihrer Tante in der Nähe von Berlin. Der Teil des Romans, der sich um Elisa dreht, spielt in den Jahren 1929 bis 1947.

Die Industriellenfamilie Familie Liefenstein ist ein Paradebeispiel für eine wohlhabende deutsche Unternehmerdynastie. Sie stellen Batterien und Glühbirnen her und kaufen in großem Stil Firmen auf, deren Rohstoffe sie für die Produktion brauchen. Schon schnell ist klar, dass die Rüstungsindustrie ihren Reichtum exponentiell mehren wird. Die Liefensteins wollen die Quandts, Flicks, Siemens und Krupps vor Neid erblassen lassen.

Im Zentrum der Familiengeschichte stehen Anna und Wilhelm Liefenstein mit ihren Söhnen Theodor, Albert und Edmund, die 1929 bereits erwachsen sind. Während Edmund früh bei einem Jagdunfall stirbt, wächst seine Tochter Cosima bei der Familie auf – betreut von Elisa, die als Kindermädchen zu einer wichtigen Bezugsperson wird.

Die Spannung des Romans liegt darin, was Cosima über ihre Familiengeschichte herausfindet. Zum einen geht um die Bereicherungen in der Nazi-Zeit durch Arisierungen von jüdischen Betrieben, bei denen die Liefensteins ganz weit vorne waren und späteren Ausgleich.

Zum anderen geht es um die Beziehungen der Brüder Theodor, Albert und Edmund zueinander und deren Frauengeschichten. Edmund und seine Mutter Anna sind die einzigen in der Familie, die dem Nazi-Wahn nicht verfallen, was dem Rest der Familie deutlich missfällt.

Und dann geht es natürlich um Cosima und Leo und Cosimas Arbeit für ihre Stiftung. Wenn Cosima ihren Verlobter Alexander heiratet, ist ihre Selbstbestimmung dahin. Will sie das wirklich? Was hat Leo für Motive?

In den 1950er Jahren leben Theodor, der für Cosima wie ein Vater ist, und Albert noch – ebenso ihre Mutter Rita. Keiner von ihnen ist bereit, mit Cosima über das zu reden, was in den 1930/40er Jahren passiert ist. Gut hat mir gefallen, dass nicht heute eine Enkelin in der Vergangenheit ihrer verstorbenen Großeltern recherchiert, sondern eine Tochter, die in den 1950ern mit lebenden Menschen aus der Zeit reden kann. So sie die denn dazu bekommt …

Exkurs: Passend zum Thema Reichtum und Verantwortung gibt es im Blog Haltungsturnen aktuell einen lesenswerten Beitrag : Zeit für Populismus.

Hast du Lust auf weitere Romane der Autorin? Hier im Blog findest du die Lesetipps Kinder ihrer Zeit und Kinder des Aufbruchs.

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Lesetipp – Familie kann man sich nicht aussuchen …

Werbung – Rezensionsexemplar

Man müsste versuchen, glücklich zu sein von Julia Holbe

Man müsste versuchen, glücklich zu sein
Julia Holbe

Originalausgabe, Hardcover mit Schutzumschlag, 400 Seiten
ISBN 978-3-328-60179-1
Erschienen am 16. Juli 2025 im Penguin Verlag (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite. Ich habe es als E-Book gelesen.

„Zwei ungleiche Schwestern treffen sich nach Jahren in ihrem Elternhaus wieder. Sie müssen sich entscheiden: verkaufen oder abfackeln? Ihre Zeitreise führt sie in die Kindheit voller verwunschener Hippie-Träume und mit dem alten, orangefarbenen R4 ihrer Mutter in die Bretagne. Bei Crêpes und Cidre unterm Sternenhimmel und einer Fahrt mit dem Boot des Vaters, die anderes endet, als geplant, werden sie von den Gesetzen ihrer chaotischen Familie eingeholt. – Ein Boot und ein Tisch, ein Fest und seine Gäste – und selbstbemalte Playmobilpferde: Manchmal ist das alles, was man braucht. Wären da nicht die großen Fragen des Lebens: Kann man sich alles sagen? Und sollte man das überhaupt? Warum könnte man nicht einfach nur versuchen, glücklich zu sein?“

Verlagstext – Julia Holbe, Man müsste versuchen, glücklich zu sein, Penguin Verlag 2025

Das ist mein Lesetipp für alle, die ungleiche Schwestern haben und/oder ihr Elternhaus bereits aufgelöst haben. Du wirst dich in dem Roman wiederfinden …

Ein Jahr nach dem Tod beider Elternteile, die innerhalb eines Jahres verstorben sind, stellt Flora sich auf Drängen ihrer Tochter Lucie hin der Hausauflösung und dem Verkauf. In der ersten Nacht vor Ort taucht ihre jüngere Schwester Millie scheinbar zufällig auf, die sie seit Jahren nicht gesehen hat.

Als erstes darf sie sich anhören, warum sie (nachts!) nicht ordentlich angezogen ist, ungeschminkt ist und alt aussieht. Millies ist Ärztin, verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn, der in dem Buch keine weitere Rolle spielt, ist quizduellabhängig und trinkt zu viel Wodka.

Die Erinnerungen von Flora und Millie über das gemeinsame Leben in Kindheit und Jugend zu Hause und an die Elternteile Féfé, deren Geliebten Jürgen, ihren Vater und dessen Langzeitgeliebte Lisa sind extrem unterschiedlich – die Wertungen dessen ebenso. In einem sind sie sich einig: Das unkonventionelle Leben der Eltern war nicht immer gut für die Kinder, auch wenn sie damit verbundene Freiheit geschätzt haben.

Neben den Eltern hat Toni als beste Freundin von Féfé eine bedeutende Rolle im Leben der Schwestern gespielt. Mit deren Sohn Jean wachsen die beiden Protagonistinnen geschwisterlich auf. Beide helfen den Flora und Millie die Geschichte zu Ende zu bringen.

Die Geschwister machen sich auf die Suche nach Orten, an denen sie ihre Eltern spüren, um sich von ihnen zu verabschieden. Orte, an denen die Elternteile sie selbst waren. Dabei finden sie nicht nur den Weg, die Eltern gehen zu lassen, sondern auch den zu sich als Schwestern und die Antwort auf die Frage, ab wann man für sein Leben und was man aus den Prägungen macht selbst verantwortlich ist.

„Es stimmt, dass alle glücklichen Familien einander ähnlich sind und jede unglückliche Familie auf ihre Weise unglücklich ist.“

Julia Holbe, Man müsste versuchen, glücklich zu sein, Penguin Verlag 2025, Seite 14 im E-Book

Lange habe ich nicht so viele Stellen in einem Buch markiert, die ich besonders schön finde, wie in diesem Roman.

Ist das eine Geschichte für dich?

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Lesetipp – Elas Selbstfindung

Werbung – Rezensionsexemplar

Junge Frau mit Katze - Daniela Dröscher

Junge Frau mit Katze
Daniela Dröscher

Gebundene Ausgabe, 320 Seiten
ISBN 978-3-462-00761-9
Erschienen am 14. August 2025 bei Kiepenheuer & Witsch (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite. Ich habe es als E-Book gelesen.

„Alles ist schwierig, bevor es leicht wird: Daniela Dröscher erzählt so intensiv wie humorvoll von einer Frau, die endlich Verantwortung für das eigene Glück übernimmt.

Zeit ihres Lebens stand Ela wortwörtlich im Schatten ihrer Mutter. Deren dicker Körper, so die Überzeugung des Vaters, war für das Unglück der gesamten Familie verantwortlich. Nun ist Ela erwachsen und es ist ihr eigener, ihr kranker, Körper, der sie verzweifeln lässt. Kurz vor dem Abschluss ihrer Promotion erlebt Ela einen Zusammenbruch. Während sie unbewusst mit der Frage ringt, ob sie ihren Platz in der akademischen Welt wirklich verdient hat, rebelliert ihr Körper: der Hals, das Herz, die Haut – Ela steht in Flammen und gerät in immer größere Panik.

So wie die Geschichte ihrer Mutter, der Daniela Dröscher ihren großen Romanerfolg »Lügen über meine Mutter« gewidmet hat, ist auch Elas späte Selbstfindung und Selbstermächtigung meisterhaft autofiktional konstruiert, psychologisch mitreißend und hinreißend komisch.“

Verlagstext

Es ist das erste Buch, das ich von der Autorin gelesen habe. Vom ersten Moment an war ich direkt drin der Geschichte. Da ich über zu viele Spiegelneuronen verfüge und Gefühle anderer Menschen auf mich übergehen – wenn ich sehe, wie sich jemand im Film schneidet, fühle ich den Schmerz und zucke zusammen – bin ich phasenweise sehr empathisch in Elas Leben eingetaucht.

Der Roman ist nichts für Hypochonder, Menschen mit Ängsten vor Krankheiten und Prüfungen. Die könnten beim Lesen gepflegt durchdrehen. Das Buch besteht in weiten Teilen aus intensiven Beschreibungen von Krankheitssymptomen und Elas Panik vor der Verteidigung ihrer Doktorarbeit.

Die Geschichte ist eine Reise, auf der Elas Körper und ihr Geist wieder zusammenfinden. Sie braucht lange, um zu begreifen, dass sie etwas ändern muss im Leben, damit es besser werden kann. Als sie den Schlüssel dafür findet, fallen die Dinge an die richtigen Stellen im Kopf. Hast du Lust, Ela dabei zu begleiten? Dann ist das ein Buch für dich.

Wie sehr fühlst du dich beim Lesen in Charaktere ein?

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Lesetipp – Leben im Überlebensmodus

Werbung – Rezensionsexemplar

Wild wuchern von Katharina Koeller

Wild wuchern
Katharina Köller

Originalausgabe, Hardcover, mit Schutzumschlag, 208 Seiten
ISBN 978-3-328-60392-4
Erschienen am 26. Februar 2025 im Penguin Verlag (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite. Ich habe es als E-Book gelesen.

Warnung: Das Buch enthält Darstellungen körperlicher und seelischer Gewalt.

„Marie rennt panisch einen Berg hinauf. Auf der Flucht vor einer Welt, in der vieles aus dem Lot geraten ist, sucht sie Schutz bei ihrer Cousine Johanna. Ausgerechnet bei Johanna, die seit Jahren wie eine Eremitin auf einer entlegenen Tiroler Alm lebt. Marie und Johanna, sie könnten nicht unterschiedlicher sein: die scharfzüngige Wienerin, Luxusgeschöpf aus einer Luxuswelt, zugleich verwöhnt und verachtet von Ehemann Peter – und das »wilde Tier im Körper von einem Menschen« (Marie über Johanna), das beim Erwachsenwerden scheinbar die Sprache verloren und die Gesellschaft hinter sich gelassen hat. Für die beiden Frauen beginnt ein ungewöhnliches Kräftemessen, ein Ringen um ihr Selbstverständnis, aber auch um einen gemeinsamen Weg.

Verlagstext

Auf das Buch bin ich über eine ausführliche Rezension von Carola Ebeling auf Zeit online (Werbung) gekommen. Die Rezension hat mich sofort angefixt, beim Lesen des Buchs war ich sofort drin in der Geschichte.

Der Schreibstil von Katharina Köller mit kurzen, prägnanten Sätzen liest sich angenehm. Interessant ist, dass der Roman nur aus der Perspektive von Marie geschrieben ist. Johannas Gedanken hätten mich dazu teils schon interessiert. Als Leserin tappe ich da im gleichen Dunkel wie Marie. Ich empfinde Johanna übrigens nicht als wildes Tier, wie Marie das beschreibt, eher als tief naturverwurzelt. Liegt vielleicht an meiner eigenen Tierverbundenheit …

„Aber in meinem Leben war es schon immer so, dass ich jeden Fehler zweimal gemacht habe.“


Marie über sich in Katharina Köller, Wild wuchern, Penguin Verlag, Position 83 im E-Book

Marie will allen gefallen und vergisst dabei sich selbst. Nun hat sie sich allerdings in die Lage gebracht, dass sie nach einer körperlichen Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann nicht gefunden werden darf – von niemandem. Da wäre eine etwas steilere Lernkurve hilfreich. Denn eines ist klar: Sie muss bei Johanna bleiben und selbst zur Eremitin auf der Alm in den Tiroler Bergen werden, ob die das will oder nicht. Sie hat keine andere Option.

„Ich muss ihr beweisen, dass das Leben besser für sie ist, wenn ich da bin.“

Marie in Katharina Köller, Wild wuchern, Penguin Verlag, Position 1192 im E-Book

Zuerst darf Marie auf der Alm bleiben, weil Johanna gerade gut Hilfe gebrauchen kann. Baumstämme zerhacken sich besser gemeinsam, eine Wiese mäht sich schneller zu zweit und ein Dach ist einfacher zusammen zu reparieren. Mit der Zeit gewöhnt sich Marie ein, passt sich Johannas Tempo und wenigen Worten an. Sie kann sich vorstellen, für immer dort zu bleiben – nicht nur, weil sie sich verstecken muss.

Johanna jedoch wird in Maries Anwesenheit einsam, weil ihr die freilebenden Tiere fehlen, die sich nicht mehr zeigen, seit Marie Unruhe in das System auf der Berghütte gebracht hat. Sie will, dass Marie geht. Sie will ihr Leben im vollständigen Einklang mit der Natur zurück. Marie lässt sich nicht so einfach wegschicken, sie ist ein Bumerang.

Interessant ist, wie lange Marie dafür braucht, um darüber nachzudenken, wie Johannas Leben eigentlich bis jetzt war und wie es dazu gekommen ist. Sie dreht sich bis zu einem Wendepunkt nur um ihre eigenen Gedanken und ihr Schicksal.

Es bleibt lange offen, was Marie in Wien wirklich passiert ist. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, warum es dazu kommen konnte und wie es weiter gehen kann, damit ein Leben im Jetzt für Marie möglich und lebenswert ist.

Beide Protagonistinnen mag ich auf ihre Weise und ich konnte mich beim Lesen in beide hineinfühlen. Ihre Mütter sind Zwillingsschwestern. Johanna und Marie sind so verschieden, wie Verwandte nur sein können. Die eine glänzt gülden, die andere ist schwarz-weiß. Marie ist der erfüllte Traum ihrer Eltern, Johanna der Alptraum ihrer Mutter. Marie ist aus Sicht der Zwillingsschwestern ein Geschenk, Johanna eine Strafe. Damit aufzuwachsen ist an sich schon Last genug.

Der Roman ist intensiv und teilweise traurig, um dann wieder klar und hoffnungsvoll daherzukommen. Den österreichischen Dialekt der Erzählerin mag ich, auch wenn ich nicht jedes Wort verstanden habe.

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Lesetipp – Gibt es das Matriarchat?

Werbung – Rezensionsexemplar

Urlaub vom Patriarchat - Wie ich auszog, das Frausein zu verstehen - Friederike Oertel

Urlaub vom Patriarchat
Wie ich auszog, um das Frausein zu verstehen
Friederike Oertel

Paperback, 336 Seiten
ISBN 978-3-462-00628-5
Erschienen am 8. Mai 2025 bei Kiepenheuer & Witsch (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

„Ermüdet und genervt vom Alltag im Patriarchat bricht Friederike Oertel zu einer Reise nach Mexiko auf – in eines der letzten Matriarchate der Welt. Sie möchte Abstand gewinnen, von den Frauen vor Ort lernen, mit neuen Perspektiven nach Hause zurückkehren. Doch auch im Matriarchat ist Frausein komplizierter als erwartet.

In Juchitán läuft vieles anders: Frauen sind die Oberhäupter ihrer Familie, Besitz wird von Müttern an die Töchter vererbt und Muxe, Menschen eines dritten Geschlechts, sind gesellschaftlich normalisiert. Auf dem dicht gedrängten Markt, den Friederike Oertel mit ihrer Gastschwester besucht, betreiben Frauen den Handel, auf Festen geben sie den Ton an. Diese »Stadt der Frauen« gilt in Dokumentarfilmen und Büchern als Matriarchat und damit als gelebter Gegenentwurf zum Patriarchat.

In einer Sprache, die die flirrenden Farben des Ortes lebendig werden lässt, und mit einem einfühlsamen Blick auf eine Stadtgesellschaft, die nach eigenen Regeln funktioniert, erkundet die Autorin ihr eigenes Frausein, geht Selbstzweifeln und Widersprüchen nach, hinterfragt Rollenerwartungen und lässt sich von Gefühlen überrollen und durchspülen. Die jahrhundertealte Idee des Matriarchats ist gleichzeitig Mythos und Realität, sie stellt Friederike Oertels Leben auf den Kopf und hilft ihr, das Frausein im Patriarchat neu zu betrachten.“

Verlagstext

Das Buch wurde mir im Rahmen einer Blogger-Aktion des Verlags als Rezensionsexemplar geschickt. Leider habe ich es nicht vorab erhalten wie geplant, so dass der Beitrag nicht zum Erscheinungstermin veröffentlicht wurde.

Dass ich zwei Wochen gebraucht habe, um das Buch zu lesen, ist gutes und schlechtes Zeichen zugleich. Gut ist daran, dass mich das Thema intensiv beschäftigt hat und ich dank der Autorin tief in die Geschichte eingetaucht bin. Nicht so gut war, dass ich das Lesen zum Teil etwas mühsam fand – die Erklärung dafür sind 25 Seiten Literaturhinweise und Quellenangaben im Anhang. Dennoch ist es ein Lesetipp.

Friederike Oertel beschreibt in dem Buch nicht nur ihre eigenen Gefühle und Sichtweisen; sie nimmt auf Studien und Texte anderer Autor_innen Bezug. Dadurch liest sich das Buch teilweise eher wie eine wissenschaftliche Arbeit als ein Sach- oder Kulturbuch.

Das hat mir gefallen, weil sie das Thema Matriarchat versus Patriarchat umfassend beleuchtet und mehr Objektivität darin steckt, als wenn eine einzelne Person ihre individuelle Sichtweise darstellt. Am Ende kommt sie zur Erkenntnis:

„Das Matriarchat bin ich.“

Friederike Oertel, Urlaub vom Patriarchat – Wie ich auszog, um das Frausein zu verstehen, Seite 305

Auf dem Weg dahin steht nicht nur immer wieder die Frage, ob die Menschen in Juchitán in einem Matriarchat leben, sondern wie man es als Frau schafft, sich gerade zu machen. Unter dem Strich hat sich mir beim Lesen mein lebenslanges Gefühl verfestigt: Als Frau (und alles zwischen CIS-Frau und -Mann) hat man in der Gesellschaft die Arschkarte gezogen. Die Welt ist auf Männer ausgerichtet. Das geht los bei der Dosis von Medikamenten, Sicherheitsgurten im Auto bis hin zur gesellschaftlich anerkannten Äußerung von intensiven Emotionen.

Die Wut, die Friederike Oertel in sich trägt, kenne ich nur zu gut. Sie schreibt (vgl. Seite 286), dass wenn alle, die in patriarchalischen Systemen unterdrückt werden, sich wehren würden, ihren Frust und ihren Zorn zulassen und Gerechtigkeit einfordern würden, kein Stein auf dem anderen bliebe. Wut helfe, eigene Grenzen zu erkennen und zu verteidigen. Sie heißt ihre Wut willkommen als Beistand, damit sie für sich einstehen kann und sieht Wut als Widerstand. Der inhaltliche Kontext, auf den sie dabei Bezug nimmt, ist ein sexueller Übergriff, gegen den sie sich samt ihrer Wut erfolgreich zur Wehr setzt.

Mit Wut dagegen anzukämpfen ist das eine. Das andere ist, dass es unfassbar ist, dass es im Jahr 2025 immer noch derartige Übergriffe gibt und wie verharmlost die oft werden. Klar kann man sich in vielen Fällen dagegen wehren, habe ich auch schon. Aber ich hasse es, einem Geschlecht anzugehören, dass weltweit permanent derartigen Übergriffen ausgesetzt wird. Ist ein Mann wütend, ist er stark. Ist eine Frau wütend, gilt sie als hysterisch. Noch Fragen?

Für wen ist das Buch ein Lesetipp? Für Frauen, die Lust haben, sich mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft zu beschäftigen. Für junge Frauen, die auf der Suche nach ihrem Platz darin sind. Die Autorin ist meinem Eindruck nach drei Monaten in Mexico einen erheblichen Schritt weitergekommen auf dem Weg zu dem, wie sie leben möchte.

Was denkst Du über die Stellung der Frauen in der Gesellschaft?

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