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Lesetipp? Vom Finden der Identität

Werbung – Rezensionsexemplar

Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron von Yade Yasemin Önder

Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron
von Yade Yasemin Önder

Gebundene Ausgabe, 256 Seiten
ISBN 978-3-462-00156-3
Erschienen am 10. März 2022 bei Kiepenheuer & Witsch (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

Ein großartiges, anarchistisches Sprachereignis: Yade Önders Romandebüt.

Schon immer haben drei Bestandteile ausgereicht, um die Welt neu zu erschaffen und zurück ins Chaos zu stürzen: Vater, Mutter, Kind. Yade Yasemin Önder bringt diese Akteure so virtuos auf Kollisionskurs, dass einem die Luft wegbleibt: ein im schönsten Sinne atemberaubendes Debüt.

Im Jahr nach Tschernobyl wird die Ich-Erzählerin geboren, irgendwo in der Westdeutschen Provinz, als »Mischling aus meiner Mutter und meinem Vater«, wie es heißt. Doch die intakte Kernfamilie währt nicht lange: Der türkische Vater (so übergewichtig, dass man »fast nichts mit ihm machen kann, was mit Schwerkraft zu tun hat«) stirbt. Alleingelassen ergeben Tochter und Mutter eine toxische Mischung. Der Roman erzählt, wie ein Mädchen hinausfindet aus einer beschädigten Familienaufstellung hinein in eine düster-funkelnde BRD. Er erzählt von einem Großvater mit Loch im Hals, von Sommern in Istanbul, die nach zu heißen Elektrogeräten riechen und nach Anis; von Dingen und Menschen, die auf Nimmerwiedersehen aus dem Fenster fliegen. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die sich immer wieder verliert und wiederfindet, auseinanderfällt und neu zusammensetzt. Bei alldem bleibt der Vater ein Wiedergänger, der deutlich macht: Auch jemand, der fehlt, kann zu viel sein.

Önders Debüt ist ein wilder Roman über den Körper, über Fremdheit und Ankommen, über Identität und Differenz, der durch seine Kühnheit immer wieder verblüfft: schnell und klug und bei aller Düsterkeit irrsinnig komisch.”

Verlagstext

Zu dem Buch bin ich über eine Blogger-Leseaktion des Verlags gekommen. Titel und Verlagstext haben mich angesprochen. Familienthemen und das Vaterthema finde ich grundsätzlich spannend. Nach einiger seichter Lektüre in letzter Zeit hatte ich Lust auf Literatur.

Ich bin beim Lesen voller Offenheit an das Buch herangegangen und war gespannt darauf, in das Seelenleben und die Familie der Ich-Erzählerin einzutauchen. Der assoziative Erzählstil und die spezielle Sprache erzeugen Reibung beim Lesen. Letztlich habe ich es verschlungen. Gleichermaßen, um es hinter mich zu bringen und weil ich gefangen war im Text. Im letzten Viertel wurde es mir zu viel.

Momentaufnahmen entstehen in zeitlichem Chaos, die Handlung springt im Leben und zwischen Orten hin und her. Viele Szenen wirken verstörend auf mich. Die Sprache ist sehr körperlich – Blut, Bulimie, Sterben, Rotz in allen Details – und folgt einer eigenen Grammatik. Sich darauf einzulassen, ist durchaus etwas speziell.

“Während ich die sogenannten gegenregulatorischen Maßnahmen ergreife, stütze ich mich an einem Baum ab, streichele über die Rinde, die wie Schorf auf glatten Beinen sitzt. Immer wieder fahre ich darüber, kralle mich in die kleinen Inseln, kratze an ihnen und manche ab, während die retroperistaltischen Bewegungen mein Inneres auf den Kopf stellen.”

Seite 91

Warum ist ein Fragezeichen in meiner Überschrift beim Lesetipp? Weil ich mir sicher bin, dass die Meinungen und Empfindungen zu diesem Roman weit auseinander gehen können. Von unlesbar bis genial kann alles dabei sein.

Möchtest Du Dich auf diese Geschichte einlassen?


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Lesetipp **** Mörderischer Norden

Werbung – Rezensionsexemplar

Gezeitenmord von Dennis Jürgensen

Gezeitenmord
von Dennis Jürgensen
1. Fall für Lykke Teit und Rudi Lehmann
Deutsch-dänische Grenzfälle, Band 1

Paperback, 336 Seiten
Übersetzt von Ulrich Sonnenberg
ISBN 978-3-462-00241-6
Erschienen am 10. März 2022 bei Kiepenheuer & Witsch (Werbung)
Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

Mord im Watt auf der Grenze zwischen Dänemark und Deutschland. Der Start der neuen dänischen Bestsellerreihe.

Es ist Lykke Teits erster eigener Fall – endlich darf sie die Ermittlungen in einem Mordfall leiten. Dass sie den Toten kannte und er sich verfolgt fühlte, verschweigt sie. Da die Leiche im Watt auf der Grenze zwischen Dänemark und Deutschland gefunden wurde, wird ihr Rudi Lehmann aus Flensburg zur Seite gestellt. Die beiden sehr ungleichen Ermittler verstehen sich auf Anhieb. Ihre Untersuchungen konzentrieren sich auf das kleine Dorf Melum, in dem jeder jeden kennt. Lykke und Rudi ermitteln nicht nur in diesem Mordfall: Villads ist seit dem Fund der Leiche spurlos verschwunden. Es ist nicht das erste vermisste Kind im Dorf. Wer weiß was? Und konnte sich Villads wie sein Lehrer vor der einsetzenden Flut an Land retten?”

Verlagstext

Das Cover erinnert an das Morsum-Kliff auf Sylt. Natürlich musste ich das Buch lesen! Die neue Krimi-Serie spielt auf der Nordseeseite Dänemarks in der Nähe zur deutschen Grenze in Südjütland. Das ist beim Lesen schön für mich, denn viele der Orte kenne ich aus Urlauben.

Die Idee des deutsch-dänischen Ermittlerduos erinnert mich an die Serie Nordlicht (ebenso Rezensionsexemplare) aus dem Verlag blanvalet, von der ich Dir Band 1 -3 hier im Blog empfohlen haben. Nordlicht spielt allerdings an der Ostküste in der Flensburger Förde. Dänemark und Deutschland sind in der Gegend mehr verbunden, als es einigen Dänen lieb zu sein scheint.

Zum Inhalt des Krimis Gezeitenmord mag ich gar nicht viel mehr als den Verlagstext verraten, um Dir beim Lesen die Spannung zu erhalten. Die verschwundenen Kinder stehen im Vordergrund und man kann sich vielleicht denken, was dabei in Betracht zu ziehen ist. Wer das nicht lesen möchte, sei gewarnt.

“Was ist los mit dir? Gehst du zu spät ins Bett? Wenn Du Karriere machen willst, dann rate ich zum Erwerb eines Weckers.”

Lykkes Chef Odin auf Seite 16

Sprachlich fand ich den Krimi teilweise etwas arg hemdsärmelig und klischeehaft. Hemdsärmelig in Bezug auf die flapsige Sprache der Charaktere, klischeehaft in Bezug auf die Denkweise, was das Verhalten von Männer und Frauen sowie Deutschen und Dänen angeht. Deshalb ist das Buch bei mir ein 4-Sterne-Lesetipp und keiner mit 5 Sternen.

Der Krimi liest sich in einem Rutsch fix weg. Die Handlung hat mich durchaus gefesselt, die Taten sind recht brutal. Einige Handlungsteile fand ich vorhersehbar, andere haben mich am Ende überrascht. Die beiden Ermittler tragen beide eine schwere persönliche Geschichte auf der Seele. Da würde ich mir bei Lykke und Rudi in folgenden Bänden wünschen, dass das noch mehr Raum bekommt, um die Personen zu entwickeln.

Ist das eine Krimi-Reihe für Dich?


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Lesetipp ***** Von Kinderwünschen und einem Leben im Exil

Werbung – Rezensionsexemplar

Hundepark von Sofi Oksanen

Hundepark
von Sofi Oksanen

Gebundene Originalausgabe, 480 Seiten
Übersetzt von Angela Plöger
ISBN 978-3-462-00011-5
Erschienen am 13. Januar 2022 bei Kiepenheuer & Witsch (Werbung)
Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

“Die preisgekrönte finnische Bestsellerautorin Sofi Oksanen führt uns in die Welt reicher Europäerinnen, die auf Kosten ärmerer Frauen aus dem Osten oder in den Entwicklungsländern, die in ihrer Not keine Wahl haben, ihren Kinderwunsch mit Eizellenspenden erfüllen. Ein Roman von großer politischer und moralischer Brisanz und literarischer Brillanz.

Helsinki, 2016. Olenka sitzt auf einer Parkbank und beobachtet eine Familie: Mutter, Vater, zwei Kinder. Als sich eine Frau neben sie setzt, erschrickt sie; sie würde diese Frau überall wiedererkennen, denn Olenka hat ihr Leben zerstört. Und gewiss ist sie gekommen, um Rache zu nehmen. Für einen kurzen Moment sind sie hier zusammen – und schauen ihren eigenen Kindern, die nichts von ihrer Existenz ahnen, beim Spielen zu.

Der Roman, der sich zwischen dem heutigen Finnland und der Ukraine nach dem Zusammenbruch der UdSSR bewegt, ist ein scharf beobachteter, temporeicher Text, der an der Schnittstelle zwischen Ost und West spielt und sich um ein Netz von Ausbeutung und die Kommerzialisierung des weiblichen Körpers dreht. Sofi Oksanen erzählt mit psychologischer Schärfe die fesselnde Geschichte einer Frau, die der Sehnsucht nach ihrem verlorenen Kind nicht entkommen kann, und über die rücksichtslosen Mächte, die sie erbarmungslos jagen.”

Verlagstext

So gefangen genommen hat mich eine Geschichte lange nicht mehr. Mehr Thriller als Roman hat mich das Buch über eine Woche gefesselt, obwohl ich 480 Seiten normalerweise an einem Wochenende erledige.

Die Geschichte wird durchgehend von der Hauptperson Olenka erzählt. Dabei springt sie in der Handlung hin und her zwischen Helsinki 2016, Dnipropetrowk 2006-2010 und allen Orten, die dazwischen oder in Rückblenden auf ihre Kindheit relevant sind. 2016 lebt sie seit einigen Jahren in Helsinki unter falscher Identität. 2006 steigt sie in das Eizellenspendengeschäft ein – erst als Spenderin, dann als Organisatorin.

Im Lauf der Geschichte erfahren wir, was Daria – die Frau neben ihr auf der Parkbank – und sie verbindet, welche Absichten Daria verfolgt, warum Olenka fliehen musste und was damit das Titelbild zu tun hat. Quasi nebenbei lernen wir Olenkas Familiengeschichte kennen und erfahren, wie gerne sich einige Bewohner verschiedener Länder der ehemaligen UdSSR haben können oder eben auch nicht.

Zu der Rahmengeschichte gehört die Liebe ihres Lebens und die Frage, ob die beiden sich je wieder sehen können und möchten. Also sie möchte schon … aber die Vorfälle von 2010 machen das … nun ja … schwer unmöglich. Außerdem gilt es, Darias Absichten herauszufinden und in Bahnen zu lenken, die für Olenka tragbar sind.

Das Buch war für mich bis zur letzten Seite spannend. Besonders das Ende hat mich überrascht. Jetzt brauche ich leichte Lesekost, um mich davon zu erholen …

Ist das ein Roman für Dich?


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Lesetipp *** Adel verpflichtet, Familie noch mehr und beides schützt vor nichts

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Wir sind schließlich wer von Anne Gesthuysen

Wir sind schließlich wer
von Anne Gesthuysen

Gebundene Originalausgabe, 416 Seiten
ISBN 978-3-462-05408-8
Erschienen am 4. November 2021 bei Kiepenheuer & Witsch (Werbung)
Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

“Landadel verpflichtet.

Von einer jungen Pastorin am Niederrhein, die ihre Gemeinde aufmischt, vom Aufwachsen zweier ungleicher Schwestern in Adelskreisen und vom Mut, den es braucht, ein Leben selbst zu gestalten, wenn alles vorherbestimmt scheint. Die Bürger der Gemeinde Alpen sind skeptisch, als Anna von Betteray die Vertretung des erkrankten Pastors übernimmt. Schließlich ist sie geschieden, blaublütig, mit Mitte dreißig viel zu jung für den Posten und eine Frau. Der einzige Mann an ihrer Seite: ihr Hund Freddy. Während Anna versucht, ein dunkles Kapitel ihrer Vergangenheit zu bewältigen und die Gemeinde behutsam zu modernisieren, gerät das Leben ihrer Schwester Maria komplett aus den Fugen. Ihr Mann wird verhaftet, kurz darauf verschwindet auch noch ihr Sohn. Ausgerechnet sie, die in den Augen der standesbewussten Mutter die Vorzeigetochter war, die auf Schützenfesten zur Königin gekrönt wurde und einen Grafen heiratete, während Anna mit schmutzigen Hosen im Stall spielte und sich in die falschen Männer verliebte. Erst in der Not überwinden die Schwestern ihre Gegensätze – und erhalten Unterstützung von überraschender Seite. Denn wenn es darum geht, einen kleinen Jungen zu finden, halten die Alpener fest zusammen. Und allen voran: Ottilie Oymann aus dem Seniorenstift Burg Winnenthal!”

Verlagstext

Von der Autorin habe ich im Herbst 2020 den Roman Wir sind doch Schwestern, der mir sehr gut gefallen hat, gekauft. Diese Neuerscheinung wurde mir vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt und ich habe ich mich aufs Lesen gefreut. Leider habe ich mich mit dem aktuellen Roman von Anne Gesthyusen etwas schwer getan. Die Rahmenhandlung führt durch das Buch und trägt den Roman durchaus.

Was stört mich an der Geschichte?

Entweder habe ich ganz viel über das reale Leben am Niederrhein gelernt oder die Autorin, die vom Niederrhein kommt, übertreibt etwas arg. So extreme Klatschweiber, wie in Alpen leben sollen, kann ich mir mit meiner norddeutschen Seele nicht vorstellen.

Auch das hier ein Schnaps, da ein Schnaps bei jeder Gelegenheit ist mir fremd, aber vielleicht gehört das alles zu meinem Lernfeld. Kläre mich bitte auf, wenn Du das Buch gelesen hast und Menschen aus der Gegend persönlich kennst.

Insgesamt sind mir die ernsten Ereignisse wie Fehlgeburten, Seitensprünge, Gewalt, Entführung, Alkohol- und Tablettenabhängigkeit, aus Standesdünkel geschlossene Ehen, eine zusammenbrechende Familie und Finanzbetrug zu stark in Slapstick eingebunden.

Für meinen Geschmack ist einfach alles ein bisschen drüber: zu viel Mutter-Tochter-Schwester-Klischee, bisschen viele (fast) Ohnmachten und Unterzuckerungen und der Hund ist natürlich auch noch ein (fast) Therapiehund …

Warum ist das Buch dennoch ein Lesetipp?

“Konnte sich überhaupt jemand frei entscheiden, ohne Zwang oder Druck, ohne die Eltern als Modell oder Antimodell für das eigene Leben zu nehmen?

Gedanken von Anna auf Seite 175

Die Fragen, wie sehr man sich von seiner Herkunft wirklich entfernen kann und was die Herkunft einem ins Leben mitgibt, treiben mich immer wieder um. Gerade Geschwister gehen oft trotz maximal ähnlichem Gen-Mix so unterschiedliche Wege, das nicht alles zu erklären ist. Das finde ich spannend.

“”Jeder nimmt ein Päckchen von zu Hause mit in die Welt”, sinnierte Tante Ottilie weiter. “Der eine findet Proviant darin, der andere Ballast.””

Seite 367

Was für ein Päckchen hast Du von zu Hause mitbekommen?

Mich interessiert Deine Meinung zu dem Roman, wenn Du ihn gelesen hast. Hast Du die Geschichte mit einem anderen Empfinden gelesen als ich oder ging es Dir ähnlich? Das ist für mich wichtig zu erfahren, denn es fällt es mir schwer, für ein Buch nur drei Sterne zu vergeben, was von einer bekannten Autorin in einem renommierten Verlag erschienen ist, von der mir ein anderer Roman gefallen hat.

Bei solchen Büchern frage ich mich immer, wenn sie mir nicht so gut gefallen haben, ob ich sie in einer falschen Stimmung gelesen habe oder ob meine Einschätzung von anderen geteilt wird.

Ist das ein Roman für Dich?