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Lesetipp ***** Von Rassismus, Wut und kreativer Power

Werbung – Rezensionsexemplar

Ich bin von Bisrat Negassi

Ich bin
Wut Mut Flucht Eritrea Germany Mode Liebe
von Bisrat Negassi

Paperback, Klappenbroschur, 272 Seiten
ISBN 978-3-442-31602-1
Erschienen am 9. Mai 2022 im Goldmann Verlag (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

„ICH BIN zeichnet die Lebensreise der Hamburger Designerin Bisrat Negassi nach. Anfang der Siebzigerjahre in Asmara, der Hauptstadt Eritreas, geboren, erlebte Bisrat bereits als Kind die grausame Realität des Krieges. Als Bisrats Vater sich auf einer Todesliste wiederfand, verließ die Familie das Land und erreichte nach zwei Jahren Flucht Deutschland. Statt Zugehörigkeit zu erfahren, sah Bisrat sich dort jedoch mit etwas konfrontiert, das sie vorher nicht kannte: Rassismus. Und wurde wütend. Doch sie beschloss, dass Wut nicht der richtige Ratgeber ist, stattdessen ließ sie daraus eine kreative Power entstehen und vertraute ganz auf ihren Mut. Bisrat wurde Modedesignerin und rief nach einer Initiation bei XUYL.Bët in Paris ihr eigenes Modelabel NEGASSI ins Leben. 2016 co-gründete sie in Hamburg den Artspace M.Bassy, um kreativen Stimmen aus Afrika und der Diaspora Raum zu bieten und Begegnungen zwischen verschiedenen Menschen und Kulturen zu zelebrieren. 2020 co-gründete sie das transnationale Atelier/Netzwerk COME iN TENT. Heute ist Bisrat Modedesignerin & Kuratorin.“

Verlagstext

Melanie Raabe schreibt über diese Autobiographie im Vorwort, dass sich alle großen Themen unsere Zeit darin wiederfinden: die Düsternis von Krieg, Flucht, Rassismus – und das Licht von Resilienz, Wachstum, Familie, Freundschaft, Liebe, Kreativität. Das benennt genau das, was ich beim Lesen auch gespürt habe.

Die ersten 65 Seiten umfassen die Zeit der Kindheit von Bisrat Negassi, von unbeschwerten Kindheitstagen in Eritrea bis zur Flucht über den Sudan, die dann in Deutschland endet. Ab dem Eintreffen der Autorin in Deutschland wird das Buch sprachlich deutlich emotionaler.

Während ich den ersten Teil bis zum Eintreffen in Deutschland mehr als zeitliches Ablaufdokument – natürlich mit intensiven Gefühlen, aber eben doch dokumentarisch – gelesen haben, spielten danach die Emotionen beim Lesen für mich mehr eine Rolle als die Stationen des Lebenslaufs.

Nicht aufhörender Alltagsrassismus

Die Sichtweisen der Autorin empfinde ich zum Teil als sehr absolut und hart urteilend. Aber vielleicht kann man kaum anders sein, wenn man als Schwarze – sie nennt sich selbst so, deshalb verwende ich das Wort – in einer primär weißen Welt seinen Weg finden muss?

Ich hatte vor einer Weile hier im Blog einen externen Beitrag verlinkt, bei dem um die Frage ging, ob es positiv höflich-interessiert ist oder anmaßend-impertinent, als weiße Deutsche jemanden mit andersfarbiger Haut oder wie auch immer anderem Aussehen zu fragen, wo derjenige oder seine Familie herkommt.

Wir wissen alle, dass die Antwort oft Hamburg lautet und nicht Ankara, auch wenn der erste Blick vielleicht eine andere Vermutung zugelassen hat. Den damaligen Beitrag finde ich online nicht mehr, aber ein Video aus diesem Jahr auf ZEIT ONLINE mit dem Titel Wenn die Frage „Woher kommst du?“ zur Belastung wird.

Die Aussagen in dem Film treffen meinem Eindruck nach ganz gut, worum es Bisrat Negassi beim Thema Alltagsrassismus geht. Deshalb habe ich mir die Frage inzwischen komplett abgewöhnt, auch wenn ich persönlich manchmal noch so neugierig bin.

Wenn man täglich von Kleinigkeiten bis zu absoluten Unmöglichkeiten das Gefühl hat, sich für seine Hautfarbe oder Haarstruktur oder was auch immer rechtfertigen zu müssen und aktiv ausgegrenzt wird, kann ich am Ende verstehen, wenn man im Punkt Alltagsrassismus eine Null-Prozent-Toleranzschwelle entwickelt.

Mir reicht ja schon, was ich mir als weiße, in Hamburg geborene Frau manchmal von Männern anhören muss. Da möchte ich nicht erleben, was auf einen zukommt, wenn man nicht nur eine Frau ist, sondern auch noch eine mit brauner Haut (so benennt sie ihre Hautfarbe).

Ich lese gerne Biografien, die sich von meinem Leben deutlich unterscheiden, um den Horizont zu erweitern. Beeindruckend bei dieser finde ich die Geradlinigkeit der Autorin und dass sie ihre Wege korrigiert, wenn sie spürt, dass sie ihr nicht gut tun.

Sich durchzusetzen, wo es wichtig ist, für sich einzutreten, wo man ansonsten das Gefühl hat, daran einzugehen. Aus ihrer Wut wurde meinem Eindruck nach ein kreatives, erfülltes Leben, in dem Eritrea und Deutschland beide einen Platz haben. Und Paris. Und viele andere Plätze auf dieser Welt.

Wie gehst Du mit Wut um, wenn Du Dich ungerecht behandelt fühlst? Nimmst Du Alltagsrassismus war?


10 Antworten auf „Lesetipp ***** Von Rassismus, Wut und kreativer Power“

Liebe Ines

wer in Fragen wie ‚woher kommst du?‘ nur Rassismus sieht, hat wohl sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Oft ist es eine neugierige Zuwendung, das Gegenüber will mehr erfahren und vor allem: Kontakt herstellen.

Ohne Kontakt ist kein Verständnis und auch kein Zusammenwachsen möglich.

Insofern finde ich es sehr schade, wenn sich die Leute nicht mehr trauen, nach der Herkunft zu fragen und lieber vor sich hin grübeln.

Ich glaube aber, dass sich die zweite Generation da leichter tut. Gerade in Großstädten, wenn mehrere Kulturen aufeinander treffen, ist es sehr lustig zu beobachten, dass diese Verrenkungen überhaupt keine Rolle spielen.

liebe Grüße

Verena

Was den Kontakt angeht, stimme ich Dir zu. Ich finde das auch immer noch schwierig. Wenn jemand offensichtlich einen deutschen Dialekt spricht, der nicht norddeutsch klingt, frage ich ja auch manchmal, wo jemand herkommt. Aus Interesse und persönlicher Neugierde.

Was ich gelernt habe in Diskussionen zu dem Thema mit Menschen, deren familiären Wurzeln nicht seit x Generationen in Deutschland liegen (wobei es Deutschland ja noch gar nicht so lange gibt) ist, dass die Frage oft auch an Erlebnisse erinnert, an die man nicht erinnert werden möchte (Flucht, Vertreibung, persönliche Dramen). Ich glaube, es geht den Menschen in dem Video und auch der Autorin auch darum, so eine Frage nicht als erstes zu stellen, sondern wenn man sich schon näher kennt. Dann ist sicherlich auch Raum für einen persönlichen Austausch dazu.

Hallo Ines,

ich wohne sehr ländlich und wir bekommen hier tatsächlich so gut wie gar nichts von Rassismus mit, zumindest nicht „live“. Natürlich durch die Medien schon. Wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, habe ich damit sehr stark zu kämpfen. Auch Wut gehört dann dazu. Aber in der Regel suche ich dann das Gespräch / die Konfrontation.

Liebe Grüße
Christine

Hamburg ist eine Multikultistadt, aber jeder Stadtteil hat seinen eigenen Mix. In meinem Stadtteil macht es bereits einen Unterschied, ob man nördlich oder südlich einer den Stadtteil durchquerenden Hauptverkehrsstraße lebt. Alltagsrassismus erlebe ich im Grunde täglich und ich kann leider nicht sagen, dass meine Gedanken immer frei davon sind. Aber alleine, das zu wissen, macht mein Verhalten hoffentlich adäquater. Als neulich eine 12jährige ohne mit der Wimper zu zucken das N-Wort benutzt hat, als sie ein Bild beschrieben hat, sind mir allerdings die Gesichtszüge sehr entglitten.

Das N-Wort, wie du es nennst, ist im täglichen Leben etwas vollig normales, wohlbemerkt in multikulturellem Umfeld, mit Leuten dabei, die damit gemeint sind.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Rassismusdiskussionen, die wir in den Zeitungen verfolgen, mit der vielschichtigen Realität nicht wirklich viel gemein haben.

Einfache Menschen, die ein entsprechendes Deutsch sprechen und ein ebensolches Umfeld haben benutzen das sog. N-Wort, unabhängig von der Hautfarbe.

All diese Diskussionen lassen in den Hintergrund treten, was der eigentliche Skandal ist: Menschen mit migrantischem Hintergrund sind überproportional schlecht gebildet weil sie auf schlechte Schulen gehen (müssen) und haben die schlechter bezahlten Jobs.

liebe Grüße

Verena

„Menschen mit migrantischem Hintergrund sind überproportional schlecht gebildet weil sie auf schlechte Schulen gehen (müssen) und haben die schlechter bezahlten Jobs.“

Da hast Du völlig recht. Das ist das Problem des deutschen Schulsystems und das man hier nur schwer an mehr Bildung kommt, wenn die Eltern keine Akademiker oder beruflich erfolgreich sind.

Umgehen mit Wut, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, habe ich inzwischen gelernt. Wo ich früher schnell laut wurde, atme ich jetzt tief durch, gehe notfalls erstmal raus und kläre dann klar und deutlich, was zu klären ist – ohne laut zu werden. Funktioniert, hat aber gedauert, bis ich es konnte.
Und ja, Alltagsrassismus nehme ich ständig wahr. Nicht zuletzt an mir selbst – wenn mir eine Gruppe PoC entgegen kommt, die lupenreinen Hamburger Dialekt sprechen und mir fällt die Kinnlade 😉 Tatsächlich so passiert. Alltagsrassismus fand aber auch auf dem Dorf statt, in dem ich bis vor einigen Jahren wohnte. Du hättest mal mitkriegen sollen, was da los war, als 2016 die ersten Flüchtlinge im Dorf untergebracht wurden. Au weia.
Liebe Grüße
Fran

Genau sowas wie mit Deiner Gruppe Hamburger meine ich auch. Und ich gehöre zu denen, die gegen das riesige Asylantenheim für die Syrer km Stadtteil unterschrieben haben und von seinem Bau nicht begeistert waren, denn dieser Stadtteil und Bezirk hat im Vergleich zu anderen schon genug Migrations- und Bildungsthemen. Aber der Aufschrei auf dem Dorf wird krasser gewesen sein.

Ich finde das gar nicht so einfach zu beantworten. Ich bin immer sehr betroffen wenn es ungerecht zugeht. Alltagsrassismus ist such schwierig, denn da muss man sehr aufpassen, dass man das nicht unbewusst begeht. Für mich ist bei Menschen immer das Benehmen das wichtigste und ich liebe multikulti. Schon immer.
Ich wünsche Dir einen schönen Abend, ganz liebe Grüße Tina

Wenn ich Ungerechtigkeiten sehe, werde ich auch ungehalten. Das Problem beim Alltagsrassismus ist vermutlich, dass man selbst als reflektierten Mensch immer wieder unbewusst rassistisch handelt oder denkt.

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