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Lesetipp ***** Ein Buch – zwei Stimmen

Werbung – Rezensionsexemplar

Das Licht in uns von Michelle Obama

Das Licht in uns
von Michelle Obama

Hardcover mit Schutzumschlag, 384 Seiten
ISBN 978-3-442-31713-4
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Norbert Juraschitz, Sabine Reinhardus, Franka Reinhart, Astrid Gravert, Frank Lachmann
Originaltitel The Light We Carry, Originalverlag Crown
Erschienen am 15. November 2022 im Goldmann Verlag (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

„Wie können wir in Zeiten von Pandemien und globalen wie persönlichen Krisen stark bleiben? Einfache Lösungen oder schnelle Antworten auf die großen Herausforderungen des Lebens mag es zwar keine geben, doch Michelle Obama ist davon überzeugt, dass wir alle eine Reihe von Fähigkeiten in uns finden können, um große Probleme besser zu bewältigen. Mit ihren ganz persönlichen Erfahrungen gibt uns die ehemalige First Lady der USA Einblicke, wie sie es schafft, ausgeglichen und stark zu bleiben y für sich, ihre Familie und ihre Freunde.“

Klappentext

Nachdem ich ihre Autobiografie Become verschlungen habe, Briefe an Obama – ihren Mann – sehr spannend fand und Renegades – Born in the USA von Barack Obama und Bruce Springsteen auch mochte, ist dieses Buch natürlich umgehend auf meiner Lese-Wunschliste gelandet. Im Beitrag zu meinem Lesejahr 2022 habe angekündigt, dass ich es in einem besonderen Format vorstellen werde. Hier ist es!

Da ich weiß, dass Nicole vom Blog Life with a glow ebenso gerne die Bücher der Obamas liest, kam mir die Idee, dieses Sachbuch gemeinsam auf unseren Blogs vorzustellen und uns darüber zu unterhalten. Dazu hat Nicole mir Fragen beantwortet, die Du im Folgenden lesen kannst. In ihrem Blog findest Du im Beitrag Ines, Michelle, das Licht und ich-ein Dialog meine Antworten auf die Fragen, die sie mir gestellt hat.

Ein Buch – zwei Stimmen

Ines: Beim Lesen sind mir einige Textstellen besonders nah gegangen. Das begann direkt auf Seite 16, wo Michelle Obama das eigene Anderssein beschreibt. Sie schreibt, dass noch bevor jemand einen Raum betritt, die Leute erst das Anderssein einer Person wahrnehmen und dann erst die Person selbst. Wie nimmst Du Deine Empfindungen wahr, wenn jemand einen Raum zu betreten beginnt, der in irgendeiner Form anders ist?

Nicole: Ich glaube, ich habe ein sehr feines Gefühl oder Empfinden für Menschen. Das bezieht sich aber meist eher auf das, was sie ausstrahlen, denn wie sie aussehen. Ich stelle immer wieder fest, dass weder Hautfarbe noch Stil bei mir diesen der/die ist anders-Gedanken hervorrufen. Manchmal spüre ich dann ein unangenehmes Kribbeln, weil ich fühle, dass da etwas nicht passt.

Das passiert aber nur, wenn etwas unschön zu werden scheint. Oder mir derjenige nicht authentisch gegenübertritt. Meinst du das?

Ines: Ja, solche Empfindungen meinte ich.

Das Buch ist eine Art Ratgeber. Ein Tipp ist bei mir besonders hängengeblieben. Sie schreibt auf Seite 52, dass sich für sie die großen Sachen leichter angehen lassen, wenn man ihnen etwas Kleines absichtlich zuordnet. Etwas Kleines, das man einfach und mit Erfolg absolvieren kann – wie Stricken zum Beispiel – kann den Schrecken der großen Katastrophen mindern, weil man das Gefühl hat, wenigstens etwas im Griff zu haben. Geht Dir das auch so?

Nicole: Ja, das ist bei großen und kleineren Katastrophen durchaus so. Es ist nicht immer eine Tätigkeit (Stricken oder ein schönes Buch gehören bei mir da auch dazu), manchmal ist es die Freude eines Kindes, das vorbeigeht, die Schönheit der Natur, ein Lied oder das schlichte Besinnen darauf, dass bei allem, was schief, schrecklich oder nicht so gut läuft, vieles eben auch sehr gut funktioniert oder sich entwickelt hat. Ich suche in solchen Momenten oft bewusst das Schöne. Das ist keine Naivität, das ist Schutz und auch Besinnung.

Ines: Beeindruckend ist für mich an vielen Stellen, wie sehr die Mutter von Michelle Obama ihr bis heute auf unprätentiöse Weise Halt gibt, ohne sie in irgendeiner Form zu verhätscheln. Sie bezeichnet sie als „Göttin der Kompetenz“ (Seite 87) und schreibt dazu, dass ihr durch die Haltung der Mutter klar wurde, dass Kompetenz die Kehrseite der Angst ist – auch wenn jemand halb verschlafen im Morgenmantel im Einsatz ist. Wie hast Du versucht, Euren Kindern das Gefühl zu geben, dass Du kompetent genug bist, um sie zu beschützen? Was hilft Dir selbst, mit Angst einflößenden Situationen umzugehen?

Nicole: Schlicht, in dem ich da war und das auch immer wieder so kommuniziert habe. Dazu habe ich immer versucht, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie gut genug sind, in dem was sie sind und was sie tun. Das ist die erste Form von Beschützen, das Wissen, dass man keine unerreichbaren Erwartungen erfüllen muss.

Und dann haben wir ihnen immer zu verstehen gegeben, dass wir zwar da sind, sie Dinge aber bis zu einem gewissen Grad auch selbst regeln dürfen und können. Ähnlich wie Mutter Obama (Seite 251) habe ich dann gefragt: Soll ich für dich gehen?

Mir selber hilft, wenn ich über solche Situationen reden kann und dann auch ernst genommen werde. Denn manche Ängste sind ja rein subjektiver Natur. Manchmal nimmt schon das Aussprechen etwas vom Schrecken, oder? Und wenn dann jemand fragt, ob er mich begleiten soll… Oder da ist…

Ines: So geht mir das mit Situationen, die mir Respekt einflößen auch oft: Die Ängste werden beim Reden immer kleiner, weil das Sortieren der Gedanken beim Sprechen sie besser handhabbar macht.

Gelacht habe ich bei ihrer Aussage, „dass enge Freundschaften dazu beitragen, den Erwartungsdruck innerhalb einer Ehe zu verringern“ (Seite 154). Ja, das ist so! Mein Mann ist froh, nicht alle meiner Bedürfnisfelder abdecken zu müssen für mein Seelenheil. Das dürfen teilweise nur zu gerne Freund_innen übernehmen. Wie siehst Du das?

Nicole: Genauso! Auch wenn ich gerne sage, dass er mein bester Freund und auch mein rationalster Berater ist, Freundinnen sind unersetzlich für das Abdecken weiterer Bedürfnisfelder. Sie erweitern deinen Horizont, sehen (auch dich) anders und du bist nicht nur auf DEN einen Menschen fixiert, was auch die Erwartungen viel zu hochschrauben kann.

Ines: In Bezug auf die Ehe finde ich noch eine weitere Textstelle hervorhebenswert. Michelle Obama schreibt auf Seite 193, dass sie möchte, dass ihre Kinder sich aus einer Position der Stärke heraus für eine Person entscheiden, mit der sie für immer zusammenbleiben wollen. Sie sollen zu dem Zeitpunkt wissen, wer sie sind und was sie brauchen, falls sie sich binden möchten.

Das finde ich eine wunderbare Formulierung und besser hätte sie mir nicht vor Augen führen können, warum meine Ehe Nummer 1, geschlossen im Alter von 26 Jahren, nicht funktioniert hat. Ich war nicht gefestigt genug. In welchem Alter wusstest Du mit ganzer innerer Stärke, wer Du bist und was Du brauchst?

Nicole: Aufgrund eines schmerzhaften Ereignisses in meinem Leben wusste ich das im Prinzip sehr früh. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass ich es in allen Facetten auch immer so ausgelebt habe. Was allerdings Partnerschaft, Ehe und meinen Lebensweg betrifft, war ich sehr früh sehr klar und strukturiert. Was vielleicht auch darin zu sehen ist, dass ich die großen Lebensentscheidungen so wieder fällen würde. Mit Abwandlungen in anderen Bereichen.

Ich finde Michelles Ansicht aber gerade für die heutige Zeit sehr wichtig, denn die junge Generation braucht aufgrund von heute viel stärker vorhandener Vielfältigkeit auch durch Soziale Medien einen viel klareren Kompass, um sie selbst sein zu können. Das ist eben auch unsere Aufgabe als Eltern, Tante, Onkel, Freund…

Ines: Im Wahlkampf 2016 ruft sie aus, wie wichtig es ist, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Das umfasst in dem Buch ein ganzes Kapitel. Für mich sind ihre Worte dazu elementar, dass das eintritt, „wenn man aus einer Reaktion eine Antwort heranreifen lässt.“ (Seite 336). Klartext in meinen Worten: Erst denken, dann handeln, hilft ungemein, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Und wenn nicht, ist es zumindest Absicht, es zu unterlassen. Wie schaffst Du es, Deine besten Seiten zu zeigen?

Nicole: Für mich war es ganz klar von ihrer Seite so gemeint, dass man dem Schlechten nie etwas Schlechtes oder Negatives entgegensetzen soll. Sondern das Beste von einem selbst.

Ich habe mir vor langer Zeit vorgenommen, ein guter Mensch zu sein. Zu sagen, was ich fühle, bei mir zu bleiben. Klar kann ich lästern, wütend und verzweifelt sein, träge, auch mal pessimistisch. Aber dann denke ich, dass das niemandem hilft und mir schon mal gar nicht. Also versuche ich jeden Tag so zu sein, wie ich gerne von anderen behandelt werden möchte. Das zeigt dann automatisch meine besten oder guten Seiten. Ich bleibe ich… Mein Spruch ist: Be every day the best version of yourself. Das hat nichts mit hohem Anspruch zu tun, sondern einfach nur man selbst.

Ines: Für mich ist Das Licht in uns es eine Art Lebensratgeber aus Erfahrung ohne Checklisten, aber mit Denkanstößen. Was ist es für Dich?

Nicole: Das ist es für mich auch. Denn sie zeigt, dass im Alltäglichen das besondere liegt. Und dass wir gar nicht viel brauchen, um zu leuchten. Aber es ist auch ein Zeichen und ein Rat an uns alle, dass wir alle viel zu einer helleren Welt beitragen können, indem wir einfach positiver in die Welt schauen. Ich habe mich in vielem wiedergefunden und das gefiel mir sehr. Und es hat mein Bild von ihr bestärkt.

Ines: Danke Dir für das Experiment des gemeinsamen Lesens und Verbloggens!

Nicole: Das war eine tolle Idee von dir und hat mir viel Spaß gemacht. Michelle hat es uns aber auch leicht gemacht. Vielen Dank, dass wir das so auf die Beine stellen konnten. Du sitzt auf jeden Fall an meinem Küchentisch …

Ist das ein Buch für Dich?


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Lesetipp **** Notärztin trifft auf Mafia

Werbung – Rezensionsexemplar

Dominoeffekt von Christian Unge

Dominoeffekt
Ein Medizin-Thriller – Tekla Berg (1)
von Christian Unge

Deutsche Erstausgabe
Aus dem Schwedischen von Julia Gschwilm
Originaltitel Går genom vatten, går genom eld, Originalverlag Norstedts Förlag
Taschenbuch, Broschur, 528 Seiten
ISBN 978-3-442-71930-3
Erschienen am 14. September 2022 im btb Verlag (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

Tekla Berg – die Notärztin, die Alpha-Männer provoziert und Verbrechen aufklärt.
Eine massive Explosion erschüttert Stockholm. Sie durchbricht ein Wohnhaus, verursacht ein großes Feuer und versetzt die ganze Stadt in Alarmbereitschaft. Alles deutet auf einen möglichen Terroranschlag mit vielen Opfern hin. Notärztin Tekla ist eine der ersten, die am Ort der Zerstörung ankommt, an dem sie einen Mann mit schweren Verbrennungen an Gesicht und Körper rettet. Es wird vermutet, dass er zu den Terroristen gehört, aber er hat auch etwas unheimlich Vertrautes an sich, das ihre privatesten Erinnerungen berührt. Die Explosion verursacht einen Dominoeffekt, an dem schon bald der Vorstand des Krankenhauses und die Polizei beteiligt sind – und nicht zuletzt ein mächtiger Patriarch, dessen Familienimperium durch die in Gang gesetzten Ereignisse bedroht ist…“

Verlagstext

Achtung Spoiler!

Das Buch ist der Einstieg in eine neue Thriller-Reihe um die Notärztin Tekla Berg. Und ja, es ist auch in meinen Augen ein Thriller und nicht nur ein Krimi, weil die Handlung nicht nur spannend, sondern zuweilen ziemlich brutal ist.

Im Verlagstext steht, worum es geht – einen Mix aus Alltag einer Notfallmedizinerin, brutale Mafia aus Usbekistan, korrupte schwedische Polizisten, Krankenhaushauspolitik und familiäre Bindungen.

Was nicht im Verlagstext steht ist, dass Tekla Berg abhängig ist von Amphetamin, das sie mehrfach täglich einwirft, und anderen kleinen Helfern, um den Tag zu überstehen und nachts ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

Ich bin der Meinung, dass man das vor dem Lesen wissen sollte, denn ihr Konsum geht über ein Partymaß deutlich hinaus. Es ist jedenfalls klar, dass das auf Dauer so nicht gut gehen kann und nicht jeder mag Geschichten mit Drogenabhängigen lesen.

Ein Grund für ihr Bedürfnis nach dem Wechsel aus innerer Klarheit und Betäubung liegt in ihrem Gehirn: Sie hat ein – umgangssprachlich formuliert – fotografisches Gedächtnis. Sie erinnert sich an alles exakt, was sie einmal komplett gesehen hat. Anders geht es ihr mit Gerüchen.

„Eigentlich konnte Tekla sich überhaupt nicht an die Gerüche erinnern. […] die Bilder waren glasklar, aber die Gerüche fehlten völlig.“

Seite 368

Deshalb hat sie eine Sammlung von Gerüchen in einem Schuhkarton, in dem Kleidungsstücke und hunderte Dinge aus ihrer Kindheit liegen, um die Gerüche zu den Erinnerungen zu bewahren. Wenn sie an Erlebnisse denkt, versucht sie kleine, genaue Geruchserinnerungen hinzuzufügen, die ins Bild passen könnten (vgl. Seite 368).

Wenn die Bilder des Tages im Kopf zu viel werden, bekommt sie die nicht mehr sortiert und wird von rasenden Kopfschmerzen übermannt, die in ihrer Wahrnehmung verschiedene Farben und Helligkeiten haben. Um davor wegzulaufen, wirft sie das Amphetamin in Form kleiner Papierkügelchen ein, die sie Bomben nennt.

Was ich nicht verstehe ist, warum Tekla auf Teufel komm raus vermeiden will, dass ihr berufliches und privates Umfeld von den visuellen Fähigkeiten ihres Gehirns erfährt. Sie tut ständig so, als ob die Laborbefunde gerade erst gesehen oder das Fachbuch eben erst in der Hand gehabt hätte. Neid? Angst, unheimlich zu wirken? Wenn Du das Buch gelesen und eine Antwort darauf hast, lass es mich bitte wissen.

Verschlungen habe ich den Thriller an einem Wochenende. Gefallen haben mir die komplexe Persönlichkeit der Hauptfigur und die Verstrickungen in der Mafia-Familie. Insgesamt waren mir es ein bisschen zu viele Handlungsstränge für ein Buch. Manchmal hatte ich Mühe, die ganzen Namen in meinem Kopf sortiert zu bekommen. Deshalb bekommt es bei mir vier anstatt fünf möglichen Sternen.

Wenn Du mit einer drogenabhängigen Ärztin im Sauseschritt durch deren Job und Privatleben rauschen möchtest, begib Dich in die Hände von Tekla Berg und lies ihren ersten Fall. Der Cliffhanger am Ende wird dafür sorgen, dass Du zusammen mir auf Band 2 lauern wirst …

Ist das eine neue Reihe für Dich?


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Lesetipp ***** Das spezielle Leben einer Inselfamilie

Werbung – Rezensionsexemplar

Zur See von Doerte Hansen

Zur See
von Dörte Hansen

Originalausgabe, Hardcover mit Schutzumschlag, 256 Seiten
ISBN 978-3-328-60222-4
Erschienen am 28. September 2022 im Penguin Verlag (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

Woher kommt unsere Liebe zum Meer und die ewige Sehnsucht nach einer Insel?
Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.

Klappentext

Dörte Hansen kennst Du vielleicht als Autorin von ihren ersten beiden Romanen Altes Land und Mittagsstunde, beides waren gehypte Bestseller. Altes Land habe ich gelesen, mochte es – allerdings primär wegen des Lokalkolorits, denn es spielt in Hamburg-Ottensen und im Alten Land, was beides hier in der Nähe und mir gut bekannt ist. Bei Mittagsstunde bin ich über eine Leseprobe nicht hinaus gekommen, die mich gelangweilt hat.

Umso mehr freue ich mich, dass ich Zur See als Rezensionsexemplar bekommen habe, denn über die Leseprobe wäre ich da vermutlich auch nicht hinausgekommen. Es fängt langsam und alkoholikerlastig an, gewinnt dann aber an Tempo, Vielschichtigkeit, Charme und Lösungen.

Zur See spielt in Zeeland, Jütland oder Friesland … und bietet damit eine Identifikationsfläche für alle Menschen, die irgendeine Nordseeinsel kennen. Ich finde es schön, dass es nicht um eine konkrete Insel geht, weil das der eigenen Phantasie mehr Platz lässt.

Das Buch spielt im Wesentlichen heute und in kurzen Rückblenden auf die Kindheit von Ryckmer, Eske und Henrik – die drei Kinder von Hanne und Jens Sander. Dann gibt es noch einen vor vielen Jahren zugezogenen Pastor, der an seinem Glauben zu zweifeln beginnt und dem die Frau stückweise davonläuft sowie ein paar Inselbewohner in Nebenrollen.

Die fünf Personen der Familie Sander haben eins gemeinsam: Sie finden ihren Platz im Leben nicht auf runde Weise.

Ryckmer Sander findet, dass er zu viel weiß, um nüchtern einzuschlafen.“

Seite 17f

Vom Kapitän zum betrunkenen Decksmann auf einer Fähre bis zum Seebestatter – was ist passiert, dass Ryckmer beruflich und privat durchs Leben schlingert? Er hat als Kapitän eines Schiffes in einem Sturm die Kontrolle verloren und sich bis heute nicht gefangen.

Eske kommt nicht raus aus der jugendlichen Rebellion und kann sich weder auf die Liebe noch ein friedliches Leben einlasen. Tattoos und Heavy Metall machen das Leben für sie aushaltbar. Ist auf Dauer Platz für ihre Freundin in ihrem Bett, die beim Schlafen ihre Arme und Beine wie ein Seestern von sich streckt (vgl. Seite 236)?

Wunschkind kann ein böses Wort sein, wenn dieses Kind die Wünsche seiner Eltern zu erfüllen hat, als wäre es ein Zauberer.“

Hanna über Henrik auf Seite 79f

Henrik sammelt nicht nur einfach Treibholz, er ist eins mit dem Meer und schafft Kunstwerke aus dem Treibgut, das er jeden Morgen zusammen mit seinem Hund sammelt. Die Kurztripgäste und Zweitwohnsitzbewohner aus den schicken Reetdachhäusern reißen ihm die Skulpturen aus der Hand. Er hat finanziell ausgesorgt, lebt aber weiter in seiner Bretterbude.

Er braucht nichts außer dem Meer, seinem Hund, seiner Kunst und jedes Jahre einen neuen Pullover, den Hanne ihm zum Geburtstag strickt. Der vom Vorjahr wird zum Backup, den vom Vorvorjahr bekommt der Hund für sein Körbchen. Seine Unruhe der Kindheitsjahre scheint sich in diesem von der Welt etwas abgekapselten Leben aufgelöst zu haben.

Jens ist vor 20 Jahren kommentarlos auf eine Vogelschutzstation gezogen und hat Hanne damit de facto verlassen. Jetzt spürt er, dass das einsame Leben dort für ihn ganz plötzlich nicht mehr das Richtige ist. Doch wohin führt sein Weg? Wer möchte er künftig sein? Schrittweise versucht er, sich Hanne wieder anzunähern. Heimlich und leise.

„Auf allen Inseln gibt es Frauen, die man nicht erschrecken kann, weil sie in ständiger Bereitschaft leben.“

Seite 14

Hanne ist so eine Frau, die nichts umhaut. Ob der Mann zur See fährt und verschwindet, obwohl er abgeheuert hat, ob der Sohn von ihr mit berufstauglichem Alkoholpegel durchs Leben zu führen ist und dennoch manchmal total abstürzt oder die Tochter ihr nicht verzeiht, dass sie sich als Kind nicht gesehen fühlte und sich um Henrik zu kümmern hatte, während die Sommergäste im Haus waren.

Mit der Hochzeit mit Jens, den Geburten der Kinder und ihrer Arbeit in Tracht im Heimatmuseum erfüllt sie die Rolle, von der sie denkt, dass sie für die bestimmt ist. Aber ist das wirklich die Rolle, die ihr in ihrem Leben gut tut?

Sachlich, ungerührt und doch dabei Bilder in den Kopf malend. Das Besondere an dem Roman ist die norddeutsche Sprache. Das Buch hat mich nach dem anfänglichen Holpern in seinen Bann gezogen. 256 Seiten erscheinen wenig, aber dennoch hat man eine Weile daran zu lesen, weil jede Seite gehaltvoll ist.

Wer lieber dicke Bücher liest, lässt sich von der Kürze bitte nicht von diesem Roman abhalten. Trotz der persönlichen Desaster der Protagonisten erscheint mir die Geschichte nicht traurig. Vielschichtig trifft es besser.

Kennst Du die Romane von Dörte Hansen? Wie gefallen sie Dir?

PS: Gelernt habe ich den Begriff, dass man eine Fahne dippen kann. Durch kurzes Nieder- und Aufholen grüßt man beim Dippen mit der Fahne. Ein schönes Wort und schöner Brauch, oder?


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Lesetipp: Die Familiensaga geht weiter

Werbung – Rezensionsexemplar

Wiedersehen in der Tuchvilla von Anne Jacobs

Wiedersehen in der Tuchvilla
Die Tuchvilla-Saga, Band 6
von Anne Jacobs

Originalausgabe, Klappenbroschur, 640 Seiten
ISBN 978-3-7341-1218-8
Erschienen am 9. November 2022 bei blanvalet (Werbung), Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

Dramatische Zeiten in der Tuchvilla: Wird die Liebe zwischen Marie und Paul die wechselhafte Zeit der Trennung überstehen?“
Augsburg, 1939: Auf die Familie Melzer und ihre Angestellten warten schwere Zeiten. Der Zweite Weltkrieg steht unmittelbar bevor, und es ist klar, dass sich das Leben aller Bewohner verändern wird. Die Tuchfabrik steht kurz vor dem Aus, und Paul muss ein weiteres Mal unbequeme Entscheidungen treffen – und das ohne seine Frau Marie. Denn diese lebt nun bereits seit 1935 mit ihrem Sohn Leo in New York, und die Zeit der Abwesenheit hat ihre Spuren hinterlassen, auch wenn Maries Liebe zu Paul ungebrochen ist. Als sie aber erfährt, dass eine andere Frau in Pauls Leben getreten ist, trifft sie das hart. Wird es Marie gelingen, ihren geliebten Ehemann zurückzugewinnen?

Verlagstext

Die komplette Tuch-Villa-Saga

Achtung Spoiler!

2021 habe ich Dir Band 4 und Band 5 im Zusammenhang mit der ganzen Serie vorgestellt. Ich war überrascht, dass es jetzt einen weiteren Band gibt, den ich als Fan der Serie natürlich auch lesen wollte.

Marie und Leo haben in New York Fuß gefasst. Leo ist erfolgreicher Komponist, Marie hat ihr gut gehendes Geschäft Atelier des Modes. Für Marie ist auch nach jahrelanger Trennung klar, dass Paul ihr Mann ist und bleibt und sie sofort nach dem Ende der NS-Zeit nach Deutschland zurückkehren wird. Sie wehrt sämtliche Avancen ab.

Für Paul ist die Beziehungslage nicht ganz so klar wie für Marie, weil er sich verlassen fühlt und bis zum Ende der NS-Zeit immer noch denkt, dass der seine Ehefrau jüdischer Abstammung hätte beschützen können. In der Familie steht er mit der Sicht relativ alleine da, aber es gibt durchaus Verständnis dafür, dass er nach irgendwann neunjähriger Trennung nicht mehr auf Maries Rückkehr warten möchte.

Sebastian, der Mann von Maries Schwägerin Lisa, ist in Dachau interniert, die jungen Männer aus Familie und Personal ziehen frei- und unfreiwillig in den Krieg und kommen mehr oder weniger oder gar nicht nach Hause am Ende.

Marie, Leo und auch sein Freund Walter haben in den Jahren in den USA die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen und den Teil fand ich insofern besonders interessant, als dass in dem Zusammenhang verdeutlicht wurde, dass einige Amerikaner nach dem Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg auf einmal nicht mehr zwischen in Deutschland verfolgten Juden mit frischem amerikanischen Pass und Nazis unterschieden haben.

Marie und Leo sind überraschenden Anfeindungen ausgesetzt. Dass Leo sich irgendwann entscheidet, in die US-Army einzutreten, um Deutschland von dem NS-Regime zu befreien, verzeihen ihm einige Deutsche nicht.

Maries Tochter Doro, die Zwillingsschwester von Leo, spielt ebenso eine Hauptrolle in dem Roman. Sie ist Pilotin und technische Studentin und derselbe Wirbelwind, der sie schon als kleines Kind war.

Paul, einst in Summe Sympathieträger, verliert für mich mit jedem Jahr an Charme und Profil. Schade! Der umfangreiche Personalstab hat schon immer eine große in den Roman gespielt, aber dieses Mal war mir das zu viel Küche-Kochen-Tratsch-Alltag.

Insgesamt kommt der sechste Teil für mich in keiner Form an die anderen Teile heran. Marie ist weiter eine starke Frau, die ihren Weg geht, aber es stehen andere Personen im Vordergrund. Mir fehlte beim Lesen eine sich durch diesen Teil der Geschichte ziehende Identifikationsperson. Deshalb ist das aus meiner Sicht nur ein Lesetipp für alle, die Band 1-5 gelesen haben und das Ende wissen möchten.

Kennst Du die Tuchvilla-Saga?


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Lesetipp ***** Am Ende siegt die Liebe

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Rueckkehr von Anne B Ragde - Band 6 - Das Finale der Lügenhaus-Serie

Rückkehr
von Anne B. Ragde

Deutsche Erstausgabe
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Originaltitel Datteren, Originalverlag Oktober Forlag
Taschenbuch, Klappenbroschur, 368 Seiten
ISBN 978-3-442-77262-9
Erschienen am 9. November 2022 im btb Verlag (Werbung)
Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.

Die Lügenhaus-Serie Band 1-6

Das fulminante Finale der erfolgreichen „Lügenhaus“-Bestsellerserie

Am Meer, in der Nähe der Stadt Trondheim in Norwegen steht ein alter Bauernhof, der ein großes Geheimnis birgt. Die bewegende Geschichte dreier Generationen von Schweinezüchtern begann in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit einer Liebe, die nicht sein durfte und einer folgenreichen Lüge, die die Familie Neshov fast zugrunde richtete. Erst Torunn, der Enkelin, gelang es, die Familie zu versöhnen.

Jetzt, im letzten Teil der Bestseller-Serie, beginnt Torunn, den verfallenen Hof wieder wohnlich zu machen. Und sie findet ihre Berufung in dem Bestattungsunternehmen ihres Onkels Margido. Doch ganz ihr persönliches Glück hat auch sie noch nicht gefunden. Zu sehr, so scheint es, hängt auch sie noch an den Geistern der Vergangenheit. Das ändert sich, als ein vermeintlich Fremder auf dem Hof auftaucht.“

Verlagstext

Rückkehr ist der sechste, letzte Teil der Lügenhaus-Serie. Ich empfehle unbedingt, die anderen Bände vorher zu lesen und zwar in der richtigen Reihenfolge, weil man sonst die Handlung und die Bezüge zwischen den Personen nicht versteht. Wer Band 1-5 mochte, wird dieses Buch verschlingen.

Ich habe es an einem Wochenende gelesen, mit den vorherigen ging es mir genauso, die ich teilweise selbst gekauft habe. Die bildhafte Sprache der Autorin mag ich sehr gerne. Ein Beispiel:

„Die halben Eier lagen ein bisschen zitternd auf dem glatten Porzellan, zwei weiß glänzende Boote mit einer matten Sonne in der Mitte, wie schön, dachte er, dieser Gelbton war mit nichts zu vergleichen.“

Tormod auf Seite 16

Wenn ich das lese, sehe ich die ganze Szene vor mir und habe das Gefühl, Teil der Geschichte zu sein. Geht Dir das auch so?

Achtung Spoiler!

“Denn jetzt bin ich an der Reihe.”

Torunns letzter Satz aus Band 5

Genau damit geht es weiter in Band 6. Torunn findet ihren Weg – beruflich, familiär und privat. Dabei lernt sie unter anderem, dass Menschen, die Tiere nicht verstehen, ihre Welt nicht verstehen.

Die Beziehung zu ihrer Mutter wird auf eine harte Probe gestellt, als sie beschließt, ihrem Nachnamen mütterlicherseits, Breiseth, den Namen ihres Vaters, Neshov, hinzuzufügen. Sie möchte dann Torunn Breiseth Neshov heißen, um den Bezug zu dem Hof, dem Bestattungsunternehmen und ihrer Familie väterlicherseits herzustellen.

Für die Mutter ist das ein herber Verrat, weil sie damals in der Familie Neshov nicht willkommen war und schwanger vom Hof gejagt wurde. Für Torunn ist der Namen eine Frage der Identität. Aber ist er den Bruch mit der Mutter wert? Sensible Freunde und Verwandte helfen den Beiden, einen Weg zu finden.

Eine Woche lang ist der Teil der Familie aus Dänemark zu Besuch, der in Band 4 die Hauptrolle hatte: ihr zauberhafter Onkel Erlend mit Ehemann Krumme und den beiden lesbischen Müttern ihrer drei Kinder. So viel Respekt Torunn davor hat, dass eine siebenköpfige Meute einfällt, so wunderbar wird die gemeinsame Zeit.

Dann wäre da noch die Frage mit der Liebe: Wer taucht auf dem Hof auf und ist er es, mit dem Torunn ihren neuen Weg gemeinsam gehen möchte? Um das zu erfahren, musst Du bis fast zum Ende lesen.

Für mich sind alle Handlungsstränge der sechs Romane am Ende rund verwoben, es bleibt nichts offen. Um Torunn herum könnte es für mich gerne weiter gehen, aber der Geist des Lügenhauses ist seiner Wege gezogen. Gut so!

Ist das eine Familiengeschichte nach Deinem Geschmack?